San José - Begegnung mit Flüchtlingen

Nach unserem Besuch in San José las ich in einem Reiseführer, dass dies keine Stadt zum Verlieben sei. Das ist was mich betrifft noch untertrieben, denn auf unserem Spaziergang durch die Stadt dachte (und sagte) ich mehrfach, dass ich noch nie eine so hässliche lateinamerikanische Hauptstadt gesehen habe! So gut wie keine hübschen Überbleibsel spanischer Kolonialarchitektur (dafür war das Land damals auch einfach zu unbedeutend), stattdessen Flachdachbauten und nicht wenig Müll auf den Straßen. Da half auch die Beschreibung der "Highlights" der Stadt in unserem Reiseführer nicht wirklich - der Stadtrundgang begann beispielsweise im "schönsten Park der Stadt":



Vermutlich ist dies eine Stadt, in der man länger sein muss, um sie zu verstehen. Interessant war jedoch die Beobachtung, dass die Innenstadt keine oberirdischen Stromkabel besitzt, ganz anders, als die anderen lateinamerikanischen Städte, die ich kenne. Dadurch wirkt die Fußgängerzone deutlich "aufgeräumter" - wenn auch aufgrund der fragwürdigen Architektur ihrer Häuser, die mich an deutsche Nachkriegsbauten erinnerten, noch lange nicht schön.


Lobend erwähnen muss ich jedoch das Essensangebot im Mercado Central, das zum Einen wirklich groß und einladend war, und zum Ande auch richtig lecker! Wir wählten eine vegetarische und eine nicht vegetarische Variante der Nationalspeise "casado" - Reis, Bohnen, gebratene Bananen plus X - die super und zudem noch sehr günstig waren.

Wenn wir in San José jedoch schon keine hübschen Ecken fanden, so hatten wir zumindest zwei interessante Begegnungen. Als wir gerade im Parque Braulio Carillo ein Foto der Kirche gemacht hatten, sprach uns eine dort auf einer Bank sitzende Frau um die 50 an und erzählte uns, dass hier der größte Treffpunkt nicaraguanischer Flüchtlinge in ganz Costa Rica sei. Da uns vorher beim Überqueren des Platzes schon die Ansammlung von Menschen aufgefallen war, ebenso wie die Ausgabe von Essen, fragte ich interessiert nach.



Die Frau erzählte, dass seit Beginn der Krise in Nicaragua über 20.000 Menschen in Costa Rica Asyl beantragt hätten; diesen Antrag müssten sie alle drei Monate neu stellen und er werde genehmigt, wenn sie Arbeit nachweisen könnten. Und daher kämen sie an diesen Ort, um Arbeit zu finden und sich zu vernetzen. Manche seien legal eingereist, dafür brauche es nur einen nicaraguanischen Reisepass, der nicht von der Regierung eingezogen oder gesperrt wurde. Andere seien illegal über die Grenze gekommen, so auch die Frau selbst. Sie sei als politischer Flüchtling anerkannt und dürfe daher erstmal unbegrenzt bleiben. Sie habe auch das Glück, mehrere Bekannte im Land zu haben, bei denen sie wechselweise unterkommen könne. Für viele andere heiße es jedoch, die Nacht auf der Straße verbringen zu müssen, was wegen Übergriffen sehr gefährlich sein könne. Die Polizei patroulliere nur bis 22 Uhr, danach komme nur noch hin und wieder ein Streifenwagen vorbei. Daher schließe man sich in Gruppen zusammen und eine Gruppe halte immer Wache, während die andere schlafe. Für die ersten Flüchtlinge, die kamen, habe es noch Unterkünfte gegeben; sie betont mehrfach, dass diese Glück gehabt hätten, während für die jetzt ankommenden Flüchtlinge nichts mehr zur Verfügung gestellt werde. Auch sei ein Hilfsfonds der Vereinten Nationen und diverser NGOs einfach "verpufft". Sie erzählt uns außerdem, dass das nicaraguanische Militär inzwischen verdeckt Leute nach Costa Rica gebracht habe, die sich unter die Flüchtlinge mischten.

Auch in der Fußgängerzone sehen wir an mehreren Stellen Flüchtlinge aus Nicaragua mit einem Schild, auf dem sie um Hilfe bitten. Das ohnehin traurige Bild der Stadt wird so noch trauriger.

Die zweite Begegnung haben wir in der Buchhandlung Librería Lehmann, wo ich auf der Suche nach einem Buch mit Costa Rica-Bezug bin. Aus einem Regal nehme ich ein Buch, das von den Erinnerungen eines Bananenplantagenarbeiters erzählt, lege es jedoch erstmal zurück, um es nicht umhertragen zu müssen. Auf dem Weg zum Ausgang jedoch stolpere ich nochmals darüber, denn an einem Tischchen sitzt der Autor, Miguel Baltodano, und stellt seine mittlerweile vier Bücher vor. Er sei pensioniert und sitze hier nun jeden Tag, wenn er nicht schreibe. Und dann erzählt er seine Lebensgeschichte. Das Buch ist teils autobiographisch, denn er hat tatsächlich jahrelang unter menschenunwürdigen Bedingungen für die United Fruit Company (heute Chiquita) auf den Bananenplantagen Costa Ricas gearbeitet. Dann habe er jedoch einen Fehler begangen, woraufhin er seinen Job verloren habe und nicht mehr richtig Fuß fassen konnte. Aus diesem Grund entschied er sich, illegal in die USA zu gehen, wo er 11 Jahre lang blieb. Zunächst schlief er unter Brücken, jahrelang schlug er sich mit einfachsten Jobs durch. Dann traf er hilfsbereite Leute, mit deren Hilfe er Englisch lernte. Nach vielen Jahren schaffte er dann den Aufstieg und verdiente ganz gut, doch es war eine harte, eine schlechte Zeit. Schließlich veranlasste ihn der Tod seiner Mutter dazu, zurückzukommen. Nun hat er zwei Bücher darüber geschrieben, wie die Realität der Illegalen in den USA aussieht. Um andere davon abzuhalten, in die USA zu flüchten, denn es gebe ihn nicht, den American Dream. Er meint, würden die Menschen der Karavane von Flüchtlingen aus Honduras, die gerade auf dem Weg in die USA ist, sein Buch lesen, dann würden sie es sich anders überlegen. Am Ende bekam ich noch einen Rabatt auf das Buch und eine persönliche Widmung, er dafür ein Foto mit seinen deutschen Kunden für facebook.



Während San José selbst mich also nicht beeindrucken konnte, brachte der Besuch dort doch viele aufschlussreiche Informationen, die nachdenklich machen. Damit jetzt nicht alles gänzlich schlimm klingt: Wir haben auf knapp 1200m das angenehme Klima bei um die 25 Grad sehr genossen. Und ein paar hübsche Gebäude gab's schon; außerdem kann man aus der Stadt bereits die umliegenden Berge und das Grün des Hochlands erkennen, die Lust auf die weitere Reise machen.

  


Mel
09.11.2018 - 11.11.2018
San José
Costa Rica


3 Kommentare

Melanie 26.11.2018 um 04:00 Uhr
Ja, Helge, die Sprache macht echt einen Unterschied. Aber das weißt du ja selbst! :) Ich habe wirklich das Gefühl, in Südostasien deswegen einiges verpasst zu haben...

Die Vagabunden 17.11.2018 um 16:48 Uhr
TIMMELONTOUR - oder - BEWUSST REISEN.

Helge 17.11.2018 um 10:55 Uhr
Hochinteressante Schilderungen! In irgendeinem fernen Land Urlaub zu machen ist ja immer das eine. Dort aber auch mit den Menschen auf der Straße zu sprechen (überhaupt sprechen zu können) und die gesammelten Eindrücke so präzise wiederzugeben, noch einmal was ganz anderes. Hut ab vor euch und ein paar spannende Restwochen in Zentralamerika!

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